Provokation
Herausforderung
Nachdem Männer mit überspannten Egos gerade das Weltgeschehen dominieren wie in alten Zeiten, ist es doch eine schöne Meldung, dass es auch anders geht: Erst haben neulich zwei Frauen den Klimaschutz in die Regierungspolitik zurückverhandelt. Immer mehr Wissenschaftlerinnen verstehen es, in Talkshows und Interviews komplizierte Sachverhalte aus früheren Männerdomänen verständlich zu erläutern.
Und nun begehren die CDU-Frauen auf und fordern die paritätische Besetzung von Partei- und Regierungsämtern. Ganz besonders mutig, weil aus der zweiten Reihe: Mechthild Heil sagt, sie sei eigentlich eine Bau-Politikerin, werde von ihrer Partei aber in die Koalitions-Verhandlungsgruppe „Familie“ entsandt – offenbar nur, weil sie eine Frau sei. Das Angebot hat sie denn auch abgelehnt. Spannend bleibt, wie viele Frauen es ins Kabinett schaffen.
Filmtipps: Die Unbeugsamen. Geschichte der Frauen in der Bonner Republik (leider nicht mehr in der Mediathek, aber bei fast allen Streaming-Diensten). Die Unbeugsamen 2. Guten Morgen, ihr Schönen (Frauen in der DDR-Politik) in der ARTE-Mediathek
Georg Rieger RefApp
Vor fünf Jahren verbreitete sich nicht nur der Corona-Virus, sondern es wurde beinahe vom ersten Tag an auch von zweifelhaften Experten bestritten, dass das Virus gefährlich sei. Andere stellten das Funktionieren der Wirtschaft über den Schutz vulnerabler Gruppen. Bei manchen Menschen offenbarte sich eine seltsame Empathielosigkeit oder gar die entschiedene Haltung, dass eine Auslese von der Natur vorgesehen sei.
Nun wird viel von Aufarbeitung und Versöhnung gesprochen. Gefordert wird eine nachträgliche Bewertung der Einschränkungen. Dass diese aus der damaligen Unkenntnis heraus in vielen Fällen übertrieben oder sogar nutzlos waren, wissen wir aber längst. Auch, dass andere Maßnahmen durchaus sinnvoll waren und viele Leben gerettet haben. Aber wer von denen, die damals keine Rücksicht nehmen wollten, hat denn diesbezüglich Einsehen gezeigt?
Der Filmemacher Mario Sixtus schreibt: „Ich will keine Versöhnung mit diesen Menschen. Ich bin froh, dass sie sich zu erkennen gegeben haben.“ Das klingt im ersten Moment etwas herzlos und arg pauschal. Aber es ist auch etwas Wahres daran: So geht Versöhnung nicht, dass eine gegensätzliche Haltung einfach zugedeckt wird.
Georg Rieger, Nürnberg
Der Umgang mit Lügen in den Medien wird nach dem zurückliegenden Wahlkampf erneut zum Thema. Wahrscheinlich wieder ohne Folgen.
Christoph Stöcker, Medien-Professor und Kolumnist beim SPIEGEL, hat einen Vorstoß unternommen und die Talk-Formate im Fernsehen aufgefordert, etnweder Live-Faktenchecks einzuführen, oder die Sendungen aufzuzeichnen und nachträglich mit Richtigstellungen zu versehen. Warum das nicht passieren wird?
Es würde enormen Mut erfordern, den Zensur- und Parteilichkeitsvorwürfen zu begegnen. Denn die Lüge vor der Lüge ist die, dass es gar keine Wahrheiten mehr gibt, sondern nur noch Meinungen. Und dass es Meinungsfreiheit ist, wenn alles gesagt werden darf – egal wie blöd oder verletzend.
Hinter diesen neu gesetzten Standard zurückzukommen, würde eine Einigkeit in dem Teil der Gesellschaft erfordern, der sich eine realitätsbasierte Diskurslage zurückwünscht. Da stehen die Chancen momentan aber schlecht.
Georg Rieger, Nürnberg
Immer wieder wird in verschiedene Richtungen der Vorwurf laut, man sei offensichtlich nicht vorbereitet: Selenskyi nicht auf das Trump-Vance-Duo, Europa nicht auf den Zerfall der Nato, die deutsche Außenpolitik nicht auf eine Führungsrolle, die Bundeswehr nicht auf die neue Bedrohungslage.
Weil über den Pazifismus eh nur noch verächtlich gesprochen wird, findet leider auch keine (selbst)kritische Auseinandersetzung über diese Haltung statt. Die müsste aber zu dem Ergebnis kommen: Auch für einen gewaltlosen Widerstand gegen machtbesessene Aggressoren gibt es bisher keine Konzepte.
Wäre der Moment nicht günstig, eine ernsthafte Alternative in die Diskussion zu bringen? Jenseits ideologischer Grabenkämpfe? Eine geopolitische Strategie, die angesichts der sich abzeichnenden Herausforderungen und der Unberechenbarkeit der Akteure wesentlich realistischer und schneller fertig sein könnte?
Georg Rieger, Nürnberg
„Es ist problematisch, dass wir 'Faschismus' oder 'Nationalsozialismus' so untrennbar mit Krieg und Holocaust in Verbindung bringen. Dann kann man heutige Faschisten für vergleichsweise harmlos erklären." So stellt der österreichische Wissenschaftler und Kolumnist Florian Aigner richtig fest.
Auch wenn es in der Frage der Definition des Begriffs keine einheitliche Antwort gibt, ist eine konsensfähige doch die des US-amerikanische Geschichtsprofessor Robert O. Paxton. Sie ist von 2004 und daher unverdächtig, die momentane Situation im Blick zu haben. Danach ist Faschismus zunächst daran zu erkennen, dass er für die eigene Gemeinschaft (Volk) geradezu obsessiv den Niedergang, die Demütigung und die Opferrolle beschreibt. Zur Befreiung aus dieser Not werden Einheit, Stärke und (völkische) Reinheit beschworen. Wo Faschisten zum Zuge kommen, arbeiten sie gerne mit wirtschaftlichen Eliten zusammen, betreiben die Aufgabe von demokratischen Rechten, ethischen oder gesetzlichen Beschränkungen. Alles mit dem Ziel einer inneren Säuberung und einer äußeren Expansion.
Trotz ihres nationalistischen Gehabes haben sich Faschisten auch schon immer gerne international verbündet. Der Entstehung eines solchen Bündnisses (USA-Russland) sehen wir gerade zu. Und diesem werden sich vermutlich bald auch einige europäische Staaten anschließen, wenn sie sich von dort Vorteile für ihre Pläne erhoffen. Und in unserem Land gibt es inzwischen auch über die AfD hinaus einige Tendenzen in diese Richtung. Wir sollten die Dinge jetzt wenigstens beim Namen nennen!
Georg Rieger, Nürnberg
Wie hat es die nationalsozialistische Propaganda geschafft, dass die jüdischen Mitbürger*innen ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten? Sie hat verächtlichmachende Geschichten über „die Juden“ erzählt. Einzelne Fehlverhalten wurden als „typisch für die Juden“ geframed. Irgendwann wurden auch einfach Geschichten erfunden. Die Entfernung der Juden aus dem „Volkskörper“ wurde dann als „Notwehr“ bezeichnet. Ein kompromissloses Vorgehen wurde gefordert. Jetzt nur mal bis hierher!
Friedrich Merz erzählt in einer Talkshow, dass „die“ migrantischen Kinder sich in der Schule wie „kleine Paschas“ aufführen. Im Bundestag berichtet er von „täglichen Gruppenvergewaltigungen im migrantischen Milieu“ und ruft den „Notstand“ aus, um seine völkerrechtswidrigen Vorschläge zu begründen und mit einer (in Teilen) faschistischen Partei gemeinsam abzustimmen. Und es wird ihm durch steigende Zustimmungszahlen gedankt.
Die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber dass Menschen mit denselben Methoden immer wieder verführbar sind, stimmt eben auch.
Georg Rieger, Nürnberg
Politiker*innen richten ihre Aufmerksamkeit gerne auf die Themen, die die Bevölkerung am meisten bewegen. Das ist zunächst alles andere als verwerflich. Allerdings ist die Demokratie, die wir in Deutschland haben, nach den Erfahrungen der Geschichte ganz bewusst keine direkte, sondern eine repräsentative. Das bedeutet, dass die Politik nicht von den Meinungen der Bevölkerung getrieben sein soll, sondern vorausschauend.
Die unmittelbaren Reflexe der Bevölkerung würden zu Entscheidungen führen, die den Menschen mittel- oder langfristig mehr schaden als nützen. Davor haben sie die Politiker*innen zu schützen, die dafür gewählt sind, das Wohl aller im Blick zu haben und vorausschauend zu entscheiden. Das gilt umso mehr in einer Zeit, in der Meinungen durch soziale Medien und durch finanzstarke oder feindliche Einflussnahme manipuliert werden.
Das wichtigste Thema ist gerade fast unwidersprochen die Migration. Fast kein dafür angeführtes Argument hält allerdings der Faktenprüfung stand. Die beschworene Gefährdung der Bevölkerung ist völlig irrational. Und werden die Menschen danach gefragt, was sie persönlich am meisten betrifft, sind die Themen auch ganz andere. Die wirklich wichtigen nämlich: Die bevorstehende Klimakatastrophe und die immer größer werdende soziale Ungleichheit. Was wäre also die Aufgabe der Politik in einer repräsentativen Demokratie?
Georg Rieger
"Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich. (...)
Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können.
Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen zu wissen, was „das Volk“ eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist – immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.
Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen."
Dietrich Bonhoeffer, Von der Dummheit. In: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. S. 17–20
Georg Rieger, Nürnberg
Der neugewählte US-Präsident Donald Trump hat mit einer Tradition nicht gebrochen und den interreligiösen Gebetsgottesdienst besucht, der traditionell nach der Amtseinführung in der Washington National Cathedral stattfindet. Bei diesem Gottesdienst haben die religiösen Führungspersönlichkeiten des Landes die Gelegenheit, dem Präsidenten Botschaften mitzugeben.
Darunter war auch die Bischöfin der (anglikanischen) Episkopalkirche im Bistum Washington Mariann Budde. Sie hat die Gelegenheit genutzt, auf die Ängste vieler Menschen im Land vor den angekündigten Maßnahmen der neuen Regierung hinzuweisen. Und sie hat um Gnade gebeten. In der Kirche herrschte beklemmende Stille, weil alle die Botschaft hinter den Worten verstanden: Hier sitzt einer, der sich als Gesandter Gottes inszeniert, aber keine Gnade kennt.
Die ihm hingehaltene Bibel hat Donald Trump bei seiner zweiten Vereidigung nicht berührt. Anders damals am 1. Juni 2020 während seiner ersten Amtszeit. Da hat er als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Proteste ein Fotoshooting mit hochgehaltener Bibel vor der St. John’s Episcopal Church in Washington veranstaltet und dafür Demonstranten gewaltsam aus dem Weg räumen lassen. Aus der Kirche kam damals scharfe Kritik an diesem Missbrauch der Bibel von – genau: Mariann Edgar Budde.
Georg Rieger RefApp
„Die Selbstbeschreibung als woke ist indessen rückläufig“, heißt es treffend im wikipedia-Artikel über den Begriff. „Wokeness ist vorwiegend negativ konnotiert“. Woke ist im afroamerikanischen Sprachgebrauch eine Variante von woken: aufmerksam, wachsam. 2014 wurde „Stay woke!“ zum Kampfbegriff der Black-Lives-Matter-Bewegung und ruft zur Wachsamkeit gegenüber Rassismus und Polizeigewalt auf.
Rechten und rechtsextremen Gruppen ist es auf perfide Art gelungen, genau diesen Begriff zum Schimpfwort umzudeuten: Vom „woken Wahnsinn“ und einer „woken Elite“ ist in den sozialen Medien zu lesen. Die sogenannten „normalen Leute“ sollen sich das Recht zurückerobern, sexistisch und rassistisch reden und handeln zu können.
Aber auch in konservativen Kreisen ist davon die Rede, dass es eine übertriebene Achtsamkeit gegenüber Minderheiten gibt und dass diese bekämpft werden müsse. Das hinter solchen Forderungen stehende Menschenbild ist mindestens fragwürdig. Mag sein, dass wir in einer Zeit leben, in der es aussichtslos ist, den Begriff zurückzuerobern. Aber es bleibt trotzdem ein Auftrag: Stay woke!
Georg Rieger RefApp