Zensur
Wenn ich in den Achtzigern mit dem R4 von Frankreich in die Schweiz einreisen wollte und eine schwarze Lederjacke trug, wurde ich gefilzt. R4 & Lederjacke genügten, mich an die Seite zu winken. Als ich jüngst mit einem Freund aus Brasilien auf dem Zürcher Flughafen landete, musste er seinen Koffer öffnen, ich nicht. Er sagte, das passiere ihm in Europa immer wegen seiner gekräuselten Haare und seines dunklen Teints. Haar & Teint genügten. Profiling kommt mit simplen, wenigen, handhabbaren Merkmalen aus: Fünffingerregeln ohne Bedenkzeit.
Früher nannte man das Zensur, und sie war staatlich. Heute übernehmen das Private, von Staaten unter Druck gesetzte Internetmultis. Das Vorgehen ist so simpel wie eh und je: Scheinbar profilierende Vokabeln sind als Indikatoren eingegeben, heute aus Wortfeldern von hate & violence, sex & crime, shit & storm. Den Rest besorgen Algorithmen. So weit so gut, könnte man meinen. Die übliche kleinkarierte Welt des moralgeleiteten Puritanismus. Im Westen nichts Neues.
Was aber ätzt, ist die rein maschinelle und mechanische Aussortierung. Gedacht wird nicht, das wäre zu teuer. Das F-Wort oder S-Wort genügt, um ein verdächtiges Profil zu erkennen, und natürlich neu das N-Wort. Die Frage, für welche Aussage Wörter verwendet werden, kostet Hirn, Zeit und Geld, die man nicht hat. Da lobe ich mir doch die gute alte Zensur im alten Preussen oder im alten Osten. Auch die konnte man hinters Licht führen, doch dafür brauchte es das Hirn eines Heine oder Brecht. Maschinell und mechanisch waren die allerdings nicht zu überführen.
Im Herzland des amerikanischen Puritanismus hatte ich zur Zeit der Tea Party eine Magnettafel gekauft, die mich heute täglich erheitert: Eine aufrechte Gabel ist zu sehen und neben ihr der Satz go fork yourself!
MK