Kurzgeschichten
Hartfaserplatte rechts und links. Schon wieder winkelt der Gang ab. Labyrinthisch fast. Eine verwirrliche Schleuse. Als er sie verlässt, ist er drüben. / Sein Freund steht unten an den Stufen, winkt ihm zu, freut sich wie ein Junge. Sie kennen sich von gemeinsamen Arbeitswochen. Nach vielen Anträgen und Stempeln durfte er zweimal raus, um ihn im Westen zu besuchen. Arbeitsbesuche natürlich. / Nun aber ist er im Osten der geteilten Stadt. Sein Freund will ihm zeigen, wie er wohnt. Seine Frau freue sich schon, den Westfreund ihres Mannes kennenzulernen. Sie werde ihnen Kaffee brühen. / Da weiss er auf einmal, was er mitbringen kann. Kuchen! Über den berühmten Platz laufen sie zum grössten Kaufhaus des Landes. / Hier findest du alles, sagt er zwinkernd. / Tatsächlich, er findet den dicken Mohnstriezel, den er sich vorgestellt hat. Mit Streuseln und etwas Zuckerguss oben drauf. Sowas gibt es nicht bei ihm zu Hause. / Mit dem Zweitakter fahren sie durch die Stadt. Kurz vor der östlichen Stadtgrenze bittet sein Freund ihn, bitte etwas tiefer hinabzurutschen. Nicht so einfach in dem kleinen Plastikauto, das fröhlich sein Lied summt. / Die Leute hier sehen an deinen Kleidern, dass du aus dem Westen kommst, und dein Visum gilt nur fürs Stadtgebiet. Wir müssen etwas weiter als erlaubt. / Ihm wird auf einmal heiss, während er so tief hinabrutscht, dass man von draussen nur noch seinen Kopf sieht. Der ist nicht zu verbergen. / Seine Frau begrüsst ihn mit offenen Armen. / Drinnen duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee. Mit Freund und Striezel verschwindet er im Nebenzimmer. Sie wollen ihn aufschneiden. Doch das geht auch mit einem grösseren Messer nicht. Selbst das Brotmesser mit Sägerillen versagt. Der Striezel widersetzt sich. Bis der Freund plötzlich laut auflacht und einen Strick aus dem Kuchen zieht. Er mag sich nicht amüsieren, doch sein Freund schüttelt sich vor Lachen und wischt sich mit dem Handrücken eine Träne aus dem Augenwinkel. / Da erlebst du gleich mal, wie wir hier leben. Unseren Alltag. / Der massakrierte Striezel schmeckt wunderbar, der Kaffee auch. / Unerkannt bringt ihn der fröhlich stinkende Zweitakter spätabends zum Bahnhof zurück. Bevor er im Labyrinth wieder nach drüben verschwindet, winkt er seinem Freund noch mal zu. / Gut war er, sehr gut sogar! Ehrlich!
1988
MK