Hirte
Habemus pastorem! In Chur sei ein neuer Hirte gewählt worden, lese ich. Haben die Schafe ihn gewählt? Wir sind doch in der Schweiz, wo über Jahrhunderte vielleicht sogar Viecher demokratische Gepflogenheiten entwickeln. Andererseits hat der Herdentrieb unter Menschen eher abgenommen, so dass eher sie von den Schafen lernen könnten.
Doch nein, es ging um einen neuen Bischof, und nein, Schafe waren an der Wahl nicht beteiligt. Ob wenigstens Wölfe im Schafspelz, weiss die Berichterstattung nicht. Hingegen schreiben sie regelmässig, ob neuer Bischof oder alter, schreiben alle mit demselben Bild aus Israels Frühzeit, also mindestens dreitausend Jahre alt, schreiben, der Kirche laufen die Schäfchen davon. Den Wölfen in der Kirche? Ihren Hirten?
Um die metaphorische Gaukelei zu beenden: Real am Bild ist, dass institutionelle Hierarchien immer noch vom Hirtenamt reden, am liebsten ihre Pastoral pflegen und Pastoren einsetzen. Das ist stimmig. Surreal aber ist, dass Gemeinden sich als Herden verstünden, Engagierte als Schafe, Christinnen als Auen und Christen als Böcke. Das ist Bocksmist! Ebenso surreal, dass Pfarrerinnen und Pfarrer ihre Gemeinden über die Felder trieben, Schäferhunde hielten, die ihnen Beine machen, und Zwillen mit sich führten, um gelegentlich einem unfolgsamen Schaf einen Stein auf den Pelz zu brennen.
Wenn Hierarchien uralte Bilder lieben, um so ihre Macht biblisch zu unterfüttern, bedeutet das nicht, dass Gemeinden von vorgestern wären. Eher sollten Schreiberlinge sich überlegen, ob sie das anachronistische Geschäft der Hierarchie metaphorisch stützen wollen oder, nach Jahrhunderten demokratischer Übung, lieber die Anliegen gegenwärtiger Gemeinden, zukunftsfähiger zuerst. Mit den Wölfen heulen kann jeder.
MK